Der Leonhardiritt
Wenn wir heute von PS hören, denken wir an die Pferdestärken von schweren Maschinen, aber durch die Jahrhunderte bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte die Stärke der Pferde in Wildsteig: beim Ackern, Mähen, Einfahren und vor allem beim Holztransport. Um 1925 gab es etwa 130 Stuten im Ort, und ein großer Bauer hatte acht bis zehn Rösser im Stall. Die Aufzucht von Fohlen war eine wichtige Erwerbsquelle; sie wurden vor allem von den Ackerbauern aus der Gegend von Landsberg und Erding gekauft. Im Winter gab es Arbeit im Forst: Zu Kirchweih vergab das Forstamt die Holztransporte (alles in Akkord); oft blieben die Bauern wochenlang mit ihren Rössern und Schlitten in Unternogg.
Mit den prächtigen Pferden konnte man aber auch ausfahren und feiern. Ein großes Fest war es, als 1922 der spätere Geistliche Rat Meinrad Klein aus Holz mit 100 Rössern aus Kohlhofen zur Primiz eingeholt wurde. Eine alte Fotografie zeigt den Einzug in die Kirche durch das Spalier der Pferde, alle mit geflochtenen Mähnen, alle Reiter mit weißen Schärpen. Dieser Festzug veranlaßte den Trachtenverein Wildsteig zu dem Vorschlag, einen Leonhardiritt einzuführen, und jedes Jahr einen Festtag der Rösser zu feiern, dem Patron der Pferde und des Viehs, St. Leonhard zur Ehre, Fürbitte und Dank.
1925 fand am Leonhardstag mit Unterstützung der Gemeinde der erste Ritt statt. Vorreiter (l. und 2. Vorstand) waren Georg Müller (Schwalker), See, und Georg Klein (Schneiderler), Holz. Zwischen 70 und 90 Pferde nahmen an dem nun jährlich stattfindenden Ritt teil; bald fuhren auch schöngeschmückte, vierspännige Wagen des Trachtenvereins und der Musikkapelle mit. Seit dem Festzug zur Einweihung der Echelsbacher Brücke (1929) gibt es den Wagen mit dem Kirchenmodell, der heute noch mitgeführt wird. Während der Messe am Leonharditag standen die Pferde damals am Kriegerdenkmal; der Umritt führte am Schluß den steilen Pilgerweg vom Mattheiser zum Kirchberg hinauf. Es gab noch keine Besucher von auswärts; nur ein paar Schulkinder bewundern auf einem Foto der zwanziger Jahre die prächtigen Pferde und Wagen.
Mit der zunehmenden Mechanisierung, vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg, änderte sich die Rolle des Pferdes. Der Leonhardiverein fand unter seinen Vorreitern Josef Jais (Bußjäger), Linden, Georg Sieber, Morgenbach, Jakob Vilgis (Sacher), Straubenbach, und Josef Sieber, Morgenbach, den richtigen Weg in die neue Zeit.
Als die Zahl der Pferde zurückging, verband man sich mit den Reitern der Nachbargemeinden: die Wildsteiger nehmen am Ulrichsritt der Steingadener und an den Umritten von Rottenbuch und Unterammergau teil, und diese Gemeinden kommen zum Wildsteiger Leonhardiritt, der zur Vermeidung von Überschneidungen jetzt am Kirchweihsonntag stattfindet und mit einem Leonharditanz am Abend beschlossen wird. 1966 wurde eine schöne Standarte geweiht, die auf der einen Seite den Hl. Leonhard, auf der anderen den Kirchberg von Wildsteig zeigt. Es kommen jetzt immer mehr Besucher von auswärts, um den Wildsteiger Ritt zu sehen, der wegen der Einheitlichkeit der Pferde (Pferdezuchtverband Oberland) und der Tracht als einer der schönsten im Oberland gilt; bis zu tausend Menschen zählt man bei der Messe auf der Schulwiese und dem anschließenden zweimaligen Umritt auf dem Leonhardsweg um das Pfarrhaus und dem großen Kreis auf der Perauer Straße und dem Ambrosius-Mößmer-Weg vor der prächtigen Kulisse der Berge. Noch immer gelingt es, bis zu 80 schön geschmückte Rösser zu versammeln, über zwanzig kommen noch aus der Wildsteig. Vorreiter sind jetzt Josef Buchner (Harrer) und Alfred Stadler (Boar), beide aus Peustelsau.
Auch heute gilt noch, was der Schriftführer 1968 ins Protokollbuch geschrieben hat: "Wir hoffen und wünschen, daß unsere Jugend, solange wir noch Pferde besitzen, diesen schönen alten Brauch beibehält".
Thomas Finkenstaedt